Aluminium und Stahl »aus dem Vollen« bearbeiten – prozesssicher, autonom, inhouse

Wer morgens ins Auto steigt, nimmt das Interior Design nur unbewusst wahr. Cockpit und Anzeigen sind vertraut, der Kaffee wie immer in der Mittelkonsole, es kann losgehen. Fährt man mit jemand anderem mit, schaut man sich die Innenausstattung genauer an, vergleicht insgeheim. Und verschwendet doch keinen Gedanken daran, was hinter den sichtbaren Formen und Materialien steckt. Anders bei der Greidenweis GmbH. Das Unternehmen ist eine der ersten Adressen für alle, die etwas zu kaschieren haben und eine entsprechende Anlage benötigen. Die komplexen Kaschierwerkzeuge für diese kundenspezifischen Anlagen fertigt Greidenweis auf einer Turnkey-Lösung der CHIRON Group mit zwei 5-achsigen Bearbeitungszentren der Baureihe 16 und einer Automationseinheit Variocell PALLET.

Im Februar 2022 war es eine der ersten Aufgaben von Fabio Neukirch, neuer Fertigungsleiter bei Greidenweis in Spaichingen, die Fertigung und den Maschinenpark zu modernisieren. Als gelernter Zerspanungsmechaniker und mit elf Jahren Erfahrung im Muster- und Prototypenbau eine willkommene Herausforderung für den Industriemeister. Doch was genau galt es zu modernisieren und mit welchen Zielen?

Zum Hintergrund: Kaschieranlagen, wie Greidenweis sie seit gut 25 Jahren für Tier-1-Zulieferer der Automobilindustrie fertigt, sind komplexe und immer individuelle Anlagen, 100 Prozent Turnkey. Ein Kaschierwerkzeug, das in der Fertigung in Auftrag gegeben wird, kann neben der Kernkomponente Formteil aus gesamt 300 Einzelteilen bestehen –Formteilaufnahme, zahlreiche Umbugschieber, Rippenplatten, Pneumatikteile und viele weitere. Geht es um große Serien, hat man zwei, vier oder sogar acht dieser Kaschierwerkzeuge, die auf einer kundenspezifisch ausgelegten Anlage und in einem komplett automatisieren Prozess ihre Aufgabe erfüllen: All das, was im Fahrzeug nicht zu sehen sein soll, professionell zu kaschieren.

Investition in doppeltes Fertigungsvolumen
Um das Projekt »Modernisieren des Maschinenparks« von Anfang an richtig aufzugleisen, verschaffte sich Fabio Neukirch zunächst einen Überblick über die aktuellen Aufträge in »seiner« Fertigung: ein Eigenanteil von 30 Prozent zu 70 Prozent Fremdfertigung war für sein Verständnis weder wirtschaftlich noch fertigungstechnisch ein optimales Verhältnis. Unterstützung bei der Planung erhielt er von Jens Rauser, seit 2018 Head of Sales und bestens vertraut mit den Herausforderungen der Kunden in ihrem Markt und den daraus folgenden Anforderungen an Greidenweis. Nach diversen Kapazitäts- und Stückkostenkalkulationen, einer Arbeitsvorbereitungsanalyse, dem Ausarbeiten der Fertigungsstrategie und Gesprächen mit Mitarbeitenden und Lieferpartnern wusste man, welche Art von Maschine die geeignete war und wie viele davon das projektierte Fertigungsvolumen bewältigen sollten. »Mit der gemeinsam mit dem Werkzeugmaschinenhersteller entwickelten Lösung wollten wir unsere Fertigungstiefe mehr als verdoppeln und so flexibler, schneller und wettbewerbsfähiger werden«, formuliert Jens Rauser die Zielsetzung.

Fabio Neukirch fasst das Lastenheft wie folgt zusammen: »Losgrößen von eins bis zehn, komplexe Formteile, unser Anspruch an hohe Oberflächengüte, eine Fertigung immer aus dem Vollen, größtenteils fünfachsig. Bei den Werkstoffen nach wie vor Aluminium, aber zunehmend auch hochfester Stahl, Bearbeitungszeiten von zwei bis sechs Stunden pro Bauteil. Und das Ganze automatisiert im Drei-Schicht-Betrieb.«

Kraftvoll und dynamisch zerspanen, prozesssicher automatisieren
Als Dirk Schmid die Anfrage auf den Tisch bekam, war direkt klar, dass eine klassische Werkzeug- und Formenbaulösung gefragt war. Doch welches Bearbeitungszentrum der CHIRON Group war das richtige? Wie den Prozess sicher und mit der geforderten hohen Autonomie automatisieren? Bei einem Termin vor Ort lernte Dirk Schmid die Fertigung in Spaichingen kennen und sprach mit Jens Rauser und Fabio Neukirch über das Teilespektrum und die Fertigungsstrategie. Mit der Vorgabe, dass bereits das erste Formteil – ob aus Aluminium oder Stahl – in Oberflächenqualität und Maßhaltigkeit den engen Toleranzvorgaben entsprechen sollte, war für Dirk Schmid klar, welche Qualitäten das Fertigungszentrum zwingend mitbringen musste: Robustheit, hohe Dynamik und stabile Bedingungen im gesamten Arbeitsraum, vor allem in Hinblick auf dynamische Nachgiebigkeiten. Damit waren in seinem Konzept zwei Dinge gesetzt: die Baureihe 16 und hier zwei Einspindler für 5-achsiges Bearbeiten.

»Ob wie bei Greidenweis im Werkzeug- und Formenbau, in der Medizintechnik, bei Aerospace oder Automotive, ob Aluminium oder hochfeste Stähle: Die FZ 16 S five axis ist wie gemacht für präzises Bearbeiten komplexer Werkstücke.«
Dirk Schmid
Leiter technischer Vertrieb D/A/CH CHIRON Group

Die FZ 16 S five axis wurde von der Applikation der CHIRON Group für andere Branchen wie Aerospace und spezialisierte Lohnfertigung vielfach erfolgreich auf ähnliche Aufgabenstellungen ausgelegt. Die Maschinendynamik ermöglicht sehr schnelle Richtungswechsel beim 5-achsig simultanem Abzeilen, was bei Millionen von Programmsätzen zu einer deutlich kürzeren Bearbeitungszeit führt. Bei Schruppbearbeitungen, ob High Feed oder Heavy Duty, lassen sich dank der Leistungsdaten und der Stabilität der Baureihe 16 die Grenzen bei den Schnittdaten der Werkzeughersteller ausloten und das maximale Zerspanvolumen Q fräsen.

Auf mehr Produktivität sollte bei Greidenweis auch eine Frässpindel mit hoher Drehzahl von 20 000 min-1 einzahlen. Mit 57 kW Leistung und 140 Nm Drehmoment würde sie in der täglichen Zerspanungspraxis sowohl bei Aluminium als auch bei Stahl eine optimale Performance liefern. Was die Automation anging, gab es für Dirk Schmid angesichts von Jahresproduktion, Schichtbetrieb, Losgrößen, langen Bearbeitungszeiten und Zerspanvolumina bis 80 Prozent nur eine Lösung: eine Variocell PALLET mit Portallader.

Neue Kapazitäten voll ausgeschöpft, Insourcing-Quote sicher erreicht
Für die Verfahrwege der beiden FZ 16 S five axis von 660 x 660 x 500 mm (X – Y – Z) stellt die Variocell PALLET für die in Schraubstöcke gespannten Werkstück-Kubaturen acht Plätze bereit. Die Bearbeitung auf den Fertigungszentren und das Bestücken der Automationszelle mit den Rohlingen über Nullpunktspannsystem laufen hauptzeitparallel ab. Fährt einer der Anwendungstechniker – zum Beispiel Lars Flaig oder Sascha Franke – ein Werkstück ein, steht die Zelle an ihrer Rüstposition, wo sie der andere be- oder entlädt. Die beiden arbeiten seit rund 15 Monaten mit der Turnkey-Lösung. Was sie am meisten schätzen, bringt Sascha Franke auf den Punkt: »Die Bedienerfreundlichkeit von Maschine und Automation, die beeindruckende Dynamik, sprich Schnelligkeit, sprich Produktivität. Und vor allem die hohe Qualität, die schon am ersten Werkstück ankommt.«

Automation mit weiteren positiven Auswirkungen
Die Inbetriebnahme der Kombination aus FZ 16 S five axis und Variocell PALLET hat bei Greidenweis von Konstruktion über Programmierung bis Fertigung einen Lern- und Entwicklungsprozess in Gang gesetzt, den das Unternehmen seither verfolgt und die Möglichkeiten der automatisierten Fertigung zunehmend ausschöpft.

Eine davon ist der präventive Schutz vor Kollisionen: Mittlerweile durchlaufen alle CAD-/CAM-Programme eine NC-Simulation und werden zudem durch ProtectLine abgesichert. ProtectLine ist eines der digitalen Systeme SmartLine der CHIRON Group und schützt auf Basis eines digitalen Zwillings das Bearbeitungszentrum sicher vor Kollisionen durch Fehlbedienung oder fehlerhafte Programmierung. Der digitale Zerspanprozess bildet den physischen vollumfänglich ab, die Geometrie des virtuellen Werkstücks entspricht dank der automatischen Abtragsimulation jederzeit der des realen.

Die Turnkey-Lösung mit Maschinen und Automation wirkt sich auch auf die Arbeitsvorbereitung aus. Hier wird jetzt so geplant, dass die Fertigung sowohl in der dritten Schicht als auch von Freitagabend bis Montag früh weitestgehend autonom laufen kann.

»Die Fertigungszentren überzeugen mit Dynamik und Stabilität. Die Automationslösung passt, alle Prozesse laufen sicher ab. Und wir fertigen nicht mehr nur 30 Prozent unserer Formteile inhouse, sondern gut 90 Prozent.«
Fabio Neukirch
Fertigungsleiter Greidenweis

Fertigungsleiter Fabio Neukirch ist mit dem Ergebnis seines Modernisierungsprojekts rundum zufrieden: »Stand heute sind die Durchlaufzeiten unserer Formteile bis zu 25 Prozent kürzer als vorher, unsere Fertigungstiefe liegt anstelle von 30 bei jetzt 90 Prozent. Unsere Strategie ist voll aufgegangen, die Entscheidung für eine Turnkey-Lösung der CHIRON Group war genau die richtige. Wir konnten unsere Wertschöpfung steigern, die Fertigungszentren sind ausgelastet und amortisieren sich schneller als geplant.«